WORT & TON im August/September 2021

Liebe Freunde von WORT & TON,

noch sitzen wir alle regelmäßig beim Bierchen in der Sonne, um die Reste dieses Sommers zu genießen. Eines Sommers, der sich mit gigantischen Bränden rund ums Mittelmeer und bis raus nach Sibirien sowie verheerenden Überflutungen in den sonst so beschaulichen Eigenheimregionen Westdeutschlands alle Mühe gegeben hat, auch noch dem letzten Dödel klarzumachen, was das Wort Klimakatastrophe konkret bedeutet.

Jenseits von extremen Wetterereignissen gibt es allerdings auch Katastrophen, die eher mit dem politischen Klima zu tun haben, bzw. der fortschreitenden Auflösung der politischen Sphäre zugunsten einer reinen Verwaltungstätigkeit im Auftrag der Wirtschaft. Gemeint ist die erschütternd achselzuckende Kapitulation der sogenannten „westlichen Welt“ vor den afghanischen Taliban, die erst jetzt, wo alles zu spät ist, überhaupt Schlagzeilen macht und offenbar auch kaum jemanden wirklich interessiert.

Vielleicht muss man das verstehen. Schließlich haben wir hierzulande traditionell alle Hände voll damit zu tun, gleichzeitig Fußballnationaltrainer, Top-Virologen und „Nahost“-Experten zu sein. Da können wir uns nicht auch noch mit der Frage beschäftigen, weshalb es nicht möglich sein soll, binnen 20 Jahren einen Haufen islamistisch-irrer Höhlenschrate dauerhaft in die Schranken zu weisen. Oder gar damit, warum all die Zeit stillschweigend akzeptiert wurde, dass „unser Verbündeter“ Pakistan und der Ausrichter der nächsten Fußballweltmeisterschaft Katar diese Terrortruppe mit Waffen und Geld versorgen.

Vielleicht sollten wir uns aber doch fragen, was unsere ach so hehren universalistischen Werte tatsächlich wert sind, wenn wir all die Afghanen, die sich darauf verlassen haben, nun einfach so Folter und Ermordung überlassen. Und dabei geht es nicht nur um jene Menschen, die direkt mit den von uns dort stationierten Soldaten zusammengearbeitet haben. Es geht auch um all die jungen Frauen, die in den von uns errichteten Mädchenschulen ausgebildet wurden und überhaupt alle, die es – auf unseren Schutz vertrauend – gewagt haben, sich gegen die perverse Ideologie der Taliban zu stellen. Diesen Menschen keine sicheren Asylperspektiven zu eröffnen, stellt alles in Frage, was unsere Politiker jemals zum Thema Menschenrechte gesagt haben oder künftig sagen werden, und es macht uns alle zu Komplizen jenes grauenhaften Massenmordes, den die Taliban in den nächsten Jahren begehen werden. Aber auch das scheint kaum jemanden zu interessieren.

Na gut, der anstehende Wahlkampf und die damit verbundene Frage, ob nun Nulli, Schnulli oder Bulli künftig im Kanzleramt die Interessen der deutschen Wirtschaft exekutieren, ist natürlich wichtiger. Um uns das einzubläuen starren nun wieder von allen Laternenpfählen Menschen auf uns herab, mit denen man zwar größtenteils nicht mal freiwillig ein Bier trinken würde, denen man aber dennoch seine Stimme geben soll, um fortan von ihnen regiert zu werden. Ob sie selbst das wirklich wollen, ist dabei durchaus fraglich. Denn wäre es so, müssten sie dann nicht alles daran setzen, uns zu vermitteln, dass nur sie die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit haben? Statt dessen aber möchte etwa die CDU „heute lernen, was morgen zählt“, um sich „gemeinsam für ein modernes Deutschland“ zu engagieren. Die Grünen wollen „Klima schützen, Jobs schaffen“ … ach nein, das war auch die CDU. Die Grünen wollen „Klimaschutz mit Wirkung: sichere Arbeitsplätze“ und sind sich sicher, dieses Ziel mittels „Zuhören und Zutrauen“ zu erreichen, denn: „Unser Land kann viel, wenn man es lässt.“ Ganz anders die SPD, mit: „Jetzt sichere Arbeit & Klimaschutz wählen“ und zwar aus „Respekt für dich“ (also uns) und mit „Kompetenz für Deutschland“.

Wem hier die Alleinstellungsmerkmale fehlen, dem stehen noch ein paar kleinere Parteien zur Auswahl. Die FDP zum Beispiel, mit: „Emissionen senken. Arbeitsplätze erhalten“. Oder für alle, die es ein bisschen kreativer mögen, die Linkspartei mit: „Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit.“ Fast schon erfrischend wirkt da im Vergleich das herzhafte „Schluss mit dem Klimawahn“ der AfD, die ansonsten „Deutschland. Aber normal“ will (also ohne Schwule, Lesben, Transpersonen, Schwarze, Muslime, Vegetarier, Behinderte, psychisch Kranke, Künstler, Linke, Grüne, Intellektuelle, Großstädter im Allgemeinen und alle anderen, die ihre Gartenzwerge hinterm Jägerzaun nicht in Reih und Glied stehen haben).

Aber bleiben wir ruhig bei den drei Parteien, die Chancen haben, den nächsten Kanzler bzw. die nächste Kanzlerin zu stellen. Dass die sich um Inhalte drücken – geschenkt. Eine einigermaßen professionelle Öffentlichkeitsarbeit jedoch sollte man als Wähler eigentlich erwarten dürfen. Dazu würde zum Beispiel gehören, dass man die Lebensläufe der Kandidaten rechtzeitig von einem erfahrenen PR-Berater auf Ungereimtheiten (Laschet, Baerbock, Scholz) abklopfen und dass man die unausweichlichen Bücher der Kandidaten von erfahrenen Ghostwritern schreiben lässt und nicht von PR-Praktikanten der Parteizentrale (Baerbock) oder nordrhein-westfälischen Ministerialbeamten (Laschet). Empfehlenswert ist außerdem, eine in geografischen Fragen eher unsichere Kandidatin vor einem Interview im Wald zu briefen, wo sich dieser Wald genau befindet (Baerbock), oder einem Kandidaten, der zu clownesken Faxen neigt, die Mundwinkel ordntlich festzutackern, bevor man ihn losschickt, um Flutopfern zu kondolieren (Laschet).

PR-mäßig schwerer zu kitten sind da schon die Erinnerungslücken des dritten Kandidaten (Scholz) in der Cum-Ex-Affäre. Allerdings macht das nichts, weil kaum ein Wähler auch nur annähernd versteht, worum es dabei überhaupt geht. Nicht zuletzt deswegen ist inzwischen eine Situation entstanden, die so unfassbar absurd ist, dass sie einen – hätte man sie vor zwei Monaten denn vorausgeahnt – mit einer Wette beim Buchmacher um die Ecke richtig reich hätte machen können: Ja, Olaf Scholz führt im Kandidatenrennen!

Mag sein, es liegt auch daran, dass die SPD unter diesen drei Parteien die einzige ist, die ein paar Euro investiert hat, um eine halbwegs vernünftige Marketing-Agentur für den Plakatwahlkampf zu engagieren. Während die CDU-Plakate genau so aussehen, wie sie in den letzten 16 Jahren aussahen (nur dass Angela Merkel plötzlich ein Mann ist) und die Grünen sich von einem blinden Grafiker haben überzeugen lassen, dass es eine gute Idee sei, die Gesichter ihrer Kandidaten ogerrotzgrün einzufärben, lässt die SPD diesen ihren ödesten aller denkbaren Kanzlerkandidaten mit schwarzem Anzug und schmaler Krawatte auf weißem Hemd vor knallrotem Hintergrund tatsächlich wie einen der coolen Tarantino-Gangster aus „Reservoir Dogs“ aussehen. Okay, vielleicht nicht gerade wie die supercoolen Mr. White (Harvey Keitel), Mr. Blonde (Michael Madsen) oder Mr. Orange (Tim Roth). Aber für die Rolle von einem der beiden in den ersten Filmminuten erschossenen Mitgangster wäre der Plakat-Scholz durchaus geeignet gewesen.

Wie gesagt, aus der Perspektive von Afghaninnen und Afghanen, die gerade der Hölle auf Erden entgegensehen, ist dieser ganze Wahlkampf hier bei uns natürlich völlig wumpe. Zumal keiner der drei Kandidaten sich ernsthaft für sie einsetzen wird, sobald er erstmal im Kanzleramt sitzt. Aber wer hier lebt, kommt eben nicht drum herum, sich den einen oder anderen Gedanken zu diesem Bundesdilettantismuscontest zu machen. Deshalb hat Markus Liske kürzlich für die Jungle World unter dem Titel „Professionelles Nichts“ aufgeschrieben, was genau Ghostwriting ist und weshalb man gut daran tut, fehlende Inhalte von erfahrenen „Content-Writern“ simulieren zu lassen. Außerdem hat er unter dem Titel „Zeichensetzungsschwäche“ einen Kommentar zu Fußballstadien in Regenbogenfarben und eine weitgehend unbemerkte Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts verfasst. Und für die September-Ausgabe von konkret hat er sich gerade mit Thomas Chatterton Williams Buch „Selbstporträt in Schwarz und Weiß: Unlearning Race“ beschäftigt – watch out.

Neuen Lesestoff gibt es auch von Manja Präkels. Zum Beispiel „Am Rande wächst die Eigenart“ – einen für Snabel geschriebenen Essay über Leben in Stadt und Land, geschrieben während ihrer Zeit als Stadtschreiberin von Rheinsberg. Wer mehr darüber wissen möchte, wie sie dieses Städtchen in Winter, Frühling und Sommer, zwischen Lockdown und Öffnung erlebt hat, der findet eine ausführliche Beschreibung unter dem Titel „Wenn mal allet nich mehr is“ im Rheinsberger Bogen – zu bestellen über das Kurt Tucholsky-Literaturmuseum. Und wer sich „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ in voller Länge von der Autorin vorlesen lassen und zwischendrin musikalische Miniaturen von Thorsten Müller (Klarinetten), Benjamin Hiesinger (Bass) und Manja Präkels (Synthesizer) hören möchte, muss auch nicht mehr lange warten. Im September geht das Hörbuch ins Presswerk und wird Ende September ausgeliefert.

Was unser Leben auf der Bühne betrifft, freuen wir uns, endlich wieder nicht nur mit Lesungen, sondern auch mit DER SINGENDE TRESEN unterwegs zu sein und die vielen neuen Songs, die inzwischen entstanden sind, endlich öffentlich spielen zu können. In Ulm und Bayreuth waren wir bereits, aber auch hier in Berlin und Potsdam kann man uns demnächst erleben. Was uns zu den anstehenden Terminen bringt …

TERMINE

Sa. 21. August – 16:00

Manja Präkels liest: „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“

Katharinenhof

Meseberger Weg 15

Gransee, Brandenburg

 

Do. 26. August – 19:00

Manja Präkels liest: „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“

T-Keller

Göttingen

 

Spezial-Tipp für Berliner:

Do. 26. August – 19:30

Unsere liebe Freundin Sibylle Ciarloni liest: „Monolog einer Zimmerpflanze“

Hoflesung der Brotfabrik

Berlin-Prenzlauer Berg

 

Sa. 28. August – 18:00

DER SINGENDE TRESEN: „alleswasderfallist“ (Konzert)

Inselbühne an der Alten Fahrt

Potsdam

 

Fr. 03, September – 19:00

Markus Liske liest: „Sechs Tage im April – Erich Mühsams Räterepublik“

JAZ

Rostock

 

Sa. 04. September – 18:00

DER SINGENDE TRESEN: „alleswasderfallist“ (Konzert)

Regenbogenfabrik

Berlin-Kreuzberg

 

Mi. 08. September – 12:30 Uhr

Lesung und Gespräch mit Manja Präkels und Markus Liske im Rahmen der vom Koeppenhaus in Greifswald organisierten Veranstaltungsreihe „In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Eine Bulli-Tour durch MV“

Marktplatz

Anklam

 

Do. 09. September – Sa. 11. September

Literaturfestival Popoffshore

Lesungen u.a. mit Manja Präkels (musikalisch begleitet von Thorsten Müller & Benjamin Hiesinger) an wechselnden Orten rund um Rostock und Warnemünde

Nähere Infos hier

So weit erst mal. Lassen wir uns überraschen, welche der zahlreichen weiteren für Herbst geplanten Termine tatsächlich stattfinden können oder wegen der Pandemie doch wieder abgesagt werden. Um das zu verhindern, könnt auch ihr euren Teil beitragen, indem ihr euch einfach impfen lasst!

Ansonsten: Augen auf beim Kreuzemachen am 26. September! Das gilt umso mehr für die Berlinerinnen und Berliner unter euch, denn hier wird zusätzlich noch über den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sowie den künftigen Berliner Senat abgestimmt. Und niemand sollte sich in Sicherheit wiegen, nur weil es in den Meinungsumfragen eine klare Mehrheit für die Fortsetzung der R2G-Koalition gibt. Einer Kandidatin nämlich ist das völlig egal: Ex-Doktorin Franziska Giffey hat bereits klargestellt, dass es ihr vorrangig darum geht, Regierende Bürgermeisterin zu werden und sie für dieses Ziel auch bereit ist, mit den in Berlin weitgehend untoten Fraktionen von CDU und FDP zu koalieren. Ein solches Ergebnis würde nicht nur alles zurückdrehen, was an Sinnvollem in den letzten Jahren angestoßen wurde, es würde uns Kulturarbeiter mit Klaus Lederer auch den besten und zuverlässigsten Kultursenator nehmen, den die Stadt je hatte und ohne dessen Wirken weite Teile der Berliner Kulturszene die Pandemie sicher nicht überstanden hätten. Sagt also bitte nicht, es hätte euch niemand gewarnt …

Bleibt gesund!

Eure respektvoll-kompetenten Klimaschützer und Jobsicherer in der

Gedankenmanufaktur WORT & TON