WORT & TON im Jan./Feb. 2024

WORT & TON im Jan./Feb. 2024

Liebe Freunde von WORT & TON,

mit etwas Verspätung begrüßen wir euch herzlich in diesem nigelnagelneuen Jahr 2024, in dem bestimmt alles … na ja, vielleicht nicht besser, dann doch vielleicht wenigstens … ach, egal.

Immerhin brachten uns die ersten Wochen des neuen Jahres schon mal allerlei beeindruckende Bilder: Erst legten panzergleiche Horrortrecker mit Galgen und Reichsadlern die Städte lahm, anschließend strömten Hunderttausende zu antifaschistischen Gegendemos. Obwohl … nein, gegen die deutschen Bauern wurde gar nicht demonstriert. Die sind schließlich so was wie Pflegekräfte, nur eben am hungrigen Volkskörper und mit deutlich mehr Grund- und Immobilienbesitz. Wenn wir also der miesen Temperaturen wegen schon nicht auf den Balkon gehen mögen, um ihren selbstlosen Einsatz für unsere Ernährung zu beklatschen, dann sollte man sie doch wenigstens mit subventioniertem Diesel entlohnen. Die „Schuldenbremse“ wurde schließlich nicht erfunden, um Reiche ärmer zu machen, sondern um überflüssige Staatsausgaben zu verhindern – beispielsweise für Flüchtlinge, Arbeitslose, Projekte gegen Rechtsextremismus, Bildung oder Klimaschutz. Meint jedenfalls Christian Lindner.

Aber auch unser charmantes Sprachrohr für Arbeiter, Bauern und missverstandene russische Präsidenten, Sahra Wagenknecht, stellte sich sofort hinter die Proteste, um die sofortige Abschaffung des „nervigen Klimawandels“ (o.s.ä.) und eine Entschuldigung des Kanzlers bei allen Dieselmotoren- und Gasheizungsnutzern zu fordern. Außerdem, so Wagenknecht, brauche es dringend weniger Migranten, weil die sonst mit ihren fiesen Voodoo-Kräften unbescholtene deutsche Bürger in Nazis verwandeln (o.s.ä.). Dasselbe gilt natürlich auch für Menschen, die nicht ordentlich volksdeutsch Mann und Frau spielen mögen: Mit jedem verzögert angehängten „innen“ reißt es Otto Normalvergaser eben den rechten Arm in die Höhe, da kann der gar nichts für. Und erst diese schreckliche Cancel Culture! Ein paar rassistische Schenkelklopferwitze machen doch noch lang kein Pogrom! Und wenn die Grünen-Vorsitzende nicht für ihre Figur verspottet werden möchte, soll sie halt abnehmen, da gibt’s doch jetzt Spritzen für!

Doch zurück zu den Demos gegen Rechtsextremismus: Einerseits war es schon bewegend, zu sehen, wie viele Menschen es da zuletzt auf die deutschen Straßen trieb. Andererseits ist das grausige Thema „Remigration“, über dessen praktische Ausgestaltung da kürzlich in einer Potsdamer Villa konferiert wurde, in rechten Kreisen (also von NPD und Identitären über die AfD und tief hinein auch in die CDU) ja wahrlich nichts Neues – davon reden die seit Jahren. Außerdem blieb leider etwas nebulös, an wen sich die Demos überhaupt richteten. Die Bundesregierung kann es nicht gewesen sein, denn deren Vertreter liefen ja mit und zeigten damit eindrücklich, dass sie sich entweder nicht in der Lage sehen oder nicht Willens sind, konkrete Maßnahmen gegen eine Partei zu ergreifen, die selbst der auf dem rechten Auge bekanntlich von grauem Star geplagte Verfassungsschutz in immer größeren Teilen als gesichert rechtsextrem einstuft.

Wollte man vielleicht die deutsche Medienlandschaft auffordern, endlich damit aufzuhören, die AfD hochzuschreiben, freundliche Sommerinterviews mit Höcke zu führen u.ä.? Nun, das wäre wohl zu spät, der Schaden ist ja schon da. Oder wollte man die Wähler der AfD zum Umdenken auffordern, weil man weiterhin dem fatalen Irrglauben anhängt, dass es da eine relevante Teilmenge gibt, die diese Partei nur trotz und nicht wegen ihrem rechtsextremen Profil wählen?

Noch mal: Natürlich ist es erfreulich, wie viele Menschen dieses Thema gerade auf die Straße gebracht hat. Aber dem Protest haftet auch etwas erschütternd Hilfloses an, wenn man gleichzeitig hinnimmt, dass die Regierung unverdrossen damit fortfährt, dem rechten Mob nach dem Maul zu reden (Olaf Scholz: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben!“), und damit rechte Positionen letztlich legitimiert. So geschehen schon einmal im Zuge des Rostocker Pogroms 1992, als sich sämtliche Parteien darauf verständigten, das Asylrecht radikal zusammenzustreichen, und als parallel der Großteil der in Ostdeutschland untergebrachten Flüchtlinge gen Westen evakuiert wurde. Was das konkret gebracht hat, sehen wir nun – 30 Jahre später – an den Umfragewerten der AfD in Ostdeutschland …

Also Leute, Gesicht zeigen ist gut, aber das reicht noch nicht. Zum kontinuierlichen Lautsein, Stören und Blockieren braucht es keine Trecker. Bildet Banden! Schreitet ein! Oder unterstützt wenigstens all die chronisch unterfinanzierten Projekte gegen Rechtsextremismus, die das tagtäglich tun! No pasarán!

Den Damen und Herren auf der Regierungsbank aber, die offensichtlich ein bisschen Nachhilfeunterricht in jüngerer deutscher Geschichte und zur Entwicklung der aktuellen Lage in den ostdeutschen Bundesländern brauchen, empfehlen wir an dieser Stelle gern noch mal Manja Präkels‘ Essayband „Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte“, aus dem kürzlich Christian Bangel in seinem klugen Zeit-Artikel zum Nazi-Thing am Lehnitzsee ausführlich zitierte: „Was geschieht, das können alle sehen“. Und auch  in einem sehr lesenswerten Essay in der Dezember-Ausgabe der Kulturzeitschrift Merkur fand das Buch lobende Erwähnung: „Eskalation erzählen – Nachwendenarration als Gewaltgeschichte“.

Womit wir denn auch wieder bei unserer beliebten Rubrik „Werbung in eigener Sache“ und damit einem gänzlich anderen Thema wären: Berliner Stadtentwicklung.

Hierzu haben Markus Liske und Manja Präkels im Dezember unter dem etwas saloppen Titel „Viktoria? Für’n Arsch“ einen dreiseitigen Artikel zur Lage am Kreuzberger Mehringplatz in der Taz veröffentlicht. Dem Text liegen ausführliche Recherchen und zahllose Interviews zugrunde, aus denen sich nicht nur ein erwartbar düsteres (um nicht zu sagen: katastrophales) Bild dessen herausschälte, was in der Hauptstadt noch immer unter dem Euphemismus „sozialer Wohnungsbau“ firmiert. Es zeigte sich auch, wie sich selbst schlimmste Zustände noch verschlimmern lassen, wenn „grüne“ Stadtentwickler und wohlgesinnte Kulturstrategen darin herumdilettieren dürfen. Aber lest einfach selbst, oder wartet noch ein bisschen, dann könnt ihr euch das ganze Dilemma demnächst auch in deutlich ausführlicherer Form als Radio-Essay zu Gemüte führen. Wir sagen rechtzeitig Bescheid.

Ansonsten waren wir zwar auch nicht unfleißig, hatten aber vor allem damit zu tun, Manja Präkels Umzug ins schöne Olevano di Romana zu organisieren, wo sie noch bis Ende März in der Casa Baldi residiert. Markus Liske hütet derweil in Berlin unsere kleine Gedankenmanufaktur und sitzt endlich auch wieder an neuen Texten für die Jungle World. Live-Termine hierzulande gibt es entsprechend erst wieder ab Mitte März, dann aber gleich eine ganze Menge – auch für DER SINGENDE TRESEN. Genaueres dazu im nächsten Newsletter. Hier erst mal nur, was im Januar/Februar noch ansteht:

TERMINE

 

Mi. 31. Januar – 18:00 Uhr

Deutschland 2024 – Wohin geht es?

Online-Gespräch mit Manja Präkels

Offene Teilnahme!

Goethe Institut Schweden

 

Di. 13. Februar – 19:00 Uhr

Wann kommt das Raumschiff?

Werkschau der Stipendiaten Manja Präkels, Paul Spengemann und Melisa Liebenthal 

Deutsche Akademie Rom Villa Massimo

Wer von euch also zufällig Mitte Februar in Rom sein sollte, ist hiermit herzlich eingeladen. Allen anderen wünschen wir einen erträglichen Restwinter. Bleibt laut (das hält ja auch warm) und lasst euch bitte nicht von marodierenden Wutbauern übertreckern!

Eure antifaschistischen Landschaftspfleger in der

Gedankenmanufaktur WORT & TON