WORT & TON im Mai 24

Liebe Freunde von WORT & TON,

offenbar hat er nur zum Teil recht gehabt, der jüdisch-österreichische Arzt und Psychoanalytiker Zvi Rix, als er sagte, dass die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen würden. 1938 war Rix vor dem sicheren Tod durch das nationalsozialistische Mörderregime aus Wien ins britische Mandatsgebiet Palästina geflohen, wo er sich am Aufbau des Staates Israel als künftige sichere Heimat für alle Juden beteiligte. Keine neue, sondern eine alte Heimat, Ursprungsort der jüdischen Kultur und Religion. Ein Land aber, dass in der Geschichte immer wieder von fremden Mächten besetzt wurde – u.a. von Assyrern, Griechen, Römern, Arabern, Kreuzrittern und Osmanen. Den Juden war es dabei selten gut ergangen. Aber auch diejenigen von ihnen, die im Laufe der Jahrtausende in andere Länder flohen oder vertrieben wurden, trafen es nicht besser. Nahezu immer und überall waren sie Pogromen ausgesetzt, wurden erniedrigt, gedemütigt und immer wieder auch ermordet, bis schließlich die Nationalsozialisten ihren Versuch unternahmen, einfach alle europäischen Juden industriell zu vernichten …

Das (in aller groben Verkürzung) nennt man Kontext, und den braucht es, um zu verstehen, warum es den heutigen Staat Israel gibt und geben muss. Wenn hingegen anlässlich des Gaza-Krieges junge deutsche „Linke“ derzeit von Kontext reden, ist damit immer nur gemeint, dass man den islamistischen Terror verstehen müsse, da doch die Juden den Arabern „ihr“ Land weggenommen hätten. Und weil auch diese neue Generation den Juden Auschwitz (und die damit ererbte eigene Schuld) nicht verzeihen kann, reicht es ihnen nicht die rechte Netanjahu-Regierung zu kritisieren, deren aktuelle Kriegsführung in Gaza oder den Siedlungsbau im Westjordanland, was selbstverständlich alles völlig legitim wäre. Nein, sie müssen Israel unbedingt gleich Völkermord vorwerfen und sich so gemeinmachen mit jenen palästinensischen Kräften, die tatsächlich einen Völkermord planen – an den israelischen Juden nämlich. Nichts anderes meint der Slogan „From the river to the sea – Palestine will be free“, und jeder, der ihn mitgrölt, sollte das inzwischen wissen.

Wenn Zvi Rix mit seinem berühmten Satz trotzdem nur teilweise recht hatte, so deshalb, weil es offenbar nicht nur die Deutschen sind, die den Juden Auschwitz nicht verzeihen können. Nein, der Wahn, den man Antisemitismus nennt, grassiert weltweit – an europäischen und amerikanischen Unis, im internationalen Kulturbetrieb, in muslimischen ebenso wie in christlich geprägten Ländern. Und das Schlimmste daran: Er kommt aktuell weniger von rechts als von „links“. Dabei findet er sich zudem – der ESC hat es gerade wieder gezeigt – bei solchen Menschen besonders ausgeprägt, die in Israel jederzeit glücklich leben könnten, in einem hypothetischen muslimischen Palästina aber aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihres biologischen Geschlechts oder ihrer Gender-Identität verfolgt und ermordet würden. Bei Leuten, die gestern noch Rastafrisuren an Weißen „kulturelle Aneignung“ schimpften, nun aber kein Problem damit haben, sich die palästinensische Kufija um den Kopf zu wickeln. Bei Leuten also, die aus dem ehrenwerten Impetus heraus, sich der kolonialen Vergangenheit und ihrer Verbrechen zu stellen, der hanebüchenen arabischen Propaganda auf den Leim gegangen sind, der zufolge alle Juden eigentlich Europäer seien und der Staat Israel somit ein Kolonialstaat.

Man könnte das als Absurdität abtun, wäre die Auswirkungen nicht so gruselig. Würden nicht gerade überall auf der Welt jüdische Menschen angegriffen, weil man sie persönlich für die Bomben auf Gaza verantwortlich macht. Und wäre die bedingungslose Solidarität mit den islamistischen Massenmördern der Hamas nicht zugleich eine intellektuelle Leichenschändung an all den Menschen, die während des Massakers am 7. Oktober 2023 ermordet, vergewaltigt und verstümmelt wurden. Ja, Antisemitismus ist wahrlich eine schlimme geistige Krankheit, und das Schlimmste an ihrer heutigen Ausprägung ist, dass die davon Befallenen sich ihrer Erkrankung meist gar nicht bewusst sind.

Zu Zeiten Erich Mühsams war das noch anders. Diejenigen, die ihn vor 90 Jahren im KZ Oranienburg ermordeten, waren mit vollem Bewusstsein stolze Antisemiten, genau wie jene, die ein Jahr zuvor seine Schriften verbrannten, und all die, die dazu klatschten. Die wenigen Familienmitglieder Mühsams, die der Vernichtung durch die Nazis entgingen, fanden dann übrigens wo Zuflucht? Genau: in Israel.

Wer sich gemeinsam mit uns an diesen wunderbaren Dichter, Humoristen und Revolutionär erinnern möchte und zufällig in Leipzig oder drumherum wohnt, der sollte diese Woche unbedingt in die Leipziger Cammerspiele kommen, wo Manja Präkels, Markus Liske & Der Singende Tresen am Freitag unter dem Titel „Das seid ihr Hunde wert!“ auf bewährte literarisch-musikalische Weise die guten Geister von Erich und Zenzl Mühsam beschwören und an die faszinierende Zeit der „Bairischen Räterepublik“ erinnern werden. Genaueres dazu findet ihr weiter unten, bei den Terminen.

Außerdem findet ihr dort auch wieder einige Lesungen und Diskussionspodien mit Manja Präkels, deren von der Uni Leipzig initiiertes Projekt „Überlandschreiberinnen“ inzwischen gestartet ist. Bis zu den Landtagswahlen im Herbst wird sie also wieder einmal als „rasende Reporterin“ unterwegs sein und in regelmäßigen Abständen in der Taz über die Stimmungslage in Brandenburg berichten – während ihre Kolleginnen Tina Pruschmann und Barbara Thériault Selbiges in Sachsen und Thüringen tun.

Von Markus Liske gibt es dieweil Neues in der Jungle World zu lesen. So hat er sich etwa, anlässlich der Lektüre von Klaus Lederers Buch „Mit links die Welt retten“, Gedanken über den aktuellen Zustand der Linkspartei gemacht. Die Kurzfassung dieses Artikels mit dem traurig-schönen Titel „Zeit, Abschied zu nehmen“ gibt es hier zu lesen, die vollständige Fassung findet ihr hier. Außerdem erinnert Liske mit seinem Text „Frieden zwischen Farce und Tragödie“ an das vor zehn Jahren gestartete putinistisch-antisemitische Querfrontprojekt „Montagsmahnwachen für den Frieden“ und all die irren Verschwörungssekten, die in diesem Rahmen erstmals außerhalb des Internets gemeinsam auftraten.

TERMINE

Fr. 17. Mai – 20:00

„Das seid ihr Hunde wert!“

Erich Mühsam zum 90. Jahrestag seiner Ermordung

Mit: Manja Präkels, Markus Liske & DER SINGENDE TRESEN

Cammerspiele Leipzig

Kochstraße 132

Leipzig

Di. 21. Mai – 17:00

Von den #baseballschlägerjahren bis zu “blauen Welle”? Rechtsextremismus und “Ostdeutschland”

Podiumsdiskussion mit: Manja Präkels, Anetta Kahane, Christian Bangel u.a.

Anmeldung bitte an enrico.glaser@amadeu-antonio-stiftung.de!!!

Mediencampus Villa Ida

Poetenweg 28

Leipzig

Mi. 22. Mai – 19:00

Von der Utopie zur Dystopie zur Utopie?

Podiumsdiskussion über 1989 und die Folgen mit: Manja Präkels, Annett Gröschner, Frank Witzel, Jörg Magenau u.a.

Literaturhaus Leipzig

Gerichtsweg 28

Leipzig

Sa. 01.06. – 18:30

Manja Präkels liest “Welt im Widerhall”

Kulturbahnhof

Bahnhofsplatz 1

Biesenthal

Vielleicht sehen wir uns ja hier oder dort? Mehr Termine dann im nächsten Newsletter. Macht es gut, und denkt stets daran: Wer links sein will, muss auch Antifaschist sein, wer aber Antifaschist sein will, kann nicht gleichzeitig Antisemit sein. Mit dieser Faustregel kommt man eigentlich ganz gut durch.

Eure ehrenamtlichen Politratgeber in der

Gedankenmanufaktur WORT & TON