WORT & TON im März/April 2022

Liebe Freunde von WORT & TON,

dass wir eine kleine Newsletter-Pause einlegen würden, hatten wir euch ja im Dezember geschrieben. Leider aber wurde unser ursprünglicher Plan, bereits im Februar wieder zu starten, von der sich rapide ändernden Weltlage durchkreuzt …

Es sind ja wahrlich beunruhigende Zeiten, in denen wir gerade leben: In der Ukraine (also gleich nebenan) tobt ein grauenvoller Krieg. Menschen kämpfen, sterben oder müssen fliehen, während hierzulande weiterhin über so etwas Banales wie Schutzmasken gemotzt wird. Sicher, gar so laut sind diese Stimmen in den letzten Wochen nicht mehr, aber mit der FDP haben wir ja eine Regierungspartei, die so unfassbar bürgernah ist, dass sie noch den letzten Freiheitsfurz bis ins Justizministerium hören kann. Deshalb lässt man jetzt nahezu alle Maßnahmen des Pandemieschutzes inklusive sogar der Maskenpflicht beim Einkaufen einfach auslaufen, während gleichzeitig immer neue Rekordinzidenzen gemeldet werden und täglich zwischen 200 und 300 Menschen an der Seuche sterben. Auch von einer allgemeinen Impfpflicht hört man längst nichts mehr. Es ist, als hätte Bundeskanzler Scholz dem Virus erklärt: “Sorry, wir haben alle keinen Bock mehr auf dich. Mach, was du willst. Bring von uns aus noch ein paar hunderttausend Menschen um, aber nerv nicht weiter in den Schlagzeilen. Tschö mit ö!”

Er hätte natürlich auch “Tschüssikowski!” sagen können, unser charismatischer und stets wortwitzsprühender Stimmungskönig aus der deutschen Humor-Hauptstadt Osnabrück. Aber man braucht ja noch was in der Hinterhand, falls man eines Tages den Ukrainekrieg ebenso abrupt und ohne Kenntnisnahme der tatsächlichen Lage beenden möchte wie jetzt die Pandemie. Gründe dafür gäbe es heute schon mehr als genug: die Spritpreise, das fehlende Sonnenblumenöl, die Flüchtlinge und … hatten wir Sonnenblumenöl schon?

Dabei hätte alles so einfach sein können, wenn Putins Armee bloß so ein ordentlicher Blitzkrieg gelungen wäre! Dann bräuchte man über dieses komische Land zwischen Polen und Russland endlich nicht mehr nachzudenken. Man hätte nur ein paar kleine Sanktionen verhängen müssen, an die sich eh niemand hält, und wäre baldmöglichst nach Moskau gefahren, um öffentlich noch ein bisschen den moralischen Zeigefinger zu heben, während man hinter den Kulissen mit dem Kollegen Wladimir bei ein paar Kilo Kaviar und der einen oder anderen Flasche Krimsekt Nord Stream 3 bis 7 klarmacht. Gerhard Schröder hätte nicht nur Ehrenbürger von Hannover bleiben, sondern auch Ehrenvorsitzender der SPD werden können, und der Genosse Olaf hätte sich endlich wieder auf seine kleinen Cum-Ex-Geschäfte konzentrieren können. Hätte, hätte, Fahrradkette …

Wie wir wissen, ist es anders gekommen. Wladimir Putin hat seine linken Fanclubs hierzulande schön blamiert, indem er die an der Grenze der Ukraine aufgestellte riesige Invasionsarmee völlig überraschend für eine Invasion einsetzte, statt für diplomatische Verhandlungen. Obwohl doch jeder weiß, dass Invasionsarmeen nur dazu da sind, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, keinesfalls aber Invasionen durchzuführen – Hammer! Aber schuld ist selbstverständlich die Nato. Was musste die auch seit 2004 so bedrohlich in den baltischen Ländern abhängen. Ist doch klar, dass sich “Russland” deswegen dann 17 Jahre später total bedroht und eingekreist fühlt! Das muss man schon verstehen. Wie man überhaupt alles verstehen muss, was der Kleptokrat im Kreml so veranstaltet – wenigstens wenn man deutsch und links ist und irgendwie verschlafen hat, dass es da draußen keine Sowjetunion mehr gibt, nur einen chauvinistischen Despoten, dessen Kritiker gerne mal an radioaktiven Substanzen lutschen oder überraschend aus Fenstern fallen.

Es ist ein gar sonderbares Weltbild, das solche linken Putin-Fans umtreibt. Was es im Kern ausmacht, das hat Markus Liske unter dem Titel “Theoretisch links” in der aktuellen Ausgabe der Jungle World ausgeführt. Leider ist der Artikel noch zahlungspflichtig, aber sobald er freigeschaltet ist, findet ihr ihn hier. Bis dahin könnt ihr euch aber gern schon mal mit zwei weiteren Texten an das Thema heranarbeiten: Bereits im Januar schrieb Liske an selber Stelle unter dem Titel “Störfall Ukraine” über das gestörte Verhältnis der deutschen Politik zur Ukraine (hier zu lesen). Und Anfang März ging es dann unter dem Titel “Zwischen Sonder- und Unvermögen” darum, weshalb man lieber eine in diesem Krieg (und gemeinhin auch sonst) völlig unnütze Bundeswehr mit 100 Milliarden beschenkt, die sich Christian Lindner nach eigener Aussage “aus der Zukunft” leihen will, statt der Ukraine die Hilfe zukommen zu lassen, die sie gerade dringend braucht (hier zu lesen).

Übrigens scheint “die Zukunft” über einen prall gefüllten Geldspeicher zu verfügen, wenn Steuererhöhungsgegner Lindner jetzt auch noch den Benzinpreis mit der Gießkanne subventionieren möchte, statt gezielt dort zu helfen, wo es wirklich nötig ist. Aber wer weiß, vielleicht folgt das alles ja einem geheimen hollistischen Masterplan, den der Finanzminister noch vor der Wahl ausgeheckt hat, als er – wie wir dank der Wahlplakate miterleben durften – ganz Nächte am Schreibtisch durchgemacht hat. Womit wir zurück beim Seuchenschutz wären: Indem man jetzt alle Schutzmaßnahmen kassiert, sorgt man nämlich dafür, dass uns die Durchseuchung einen Haufen Leute vom Halse schafft, die man ansonsten noch jahrelang mit Renten- und Pflegegeld hätte durchfüttern müssen. Folglich wird “die Zukunft” gar nicht wissen wohin mit all dem eingesparten Geld und gerne bereit sein, es dem klassensprecherschlauen Christian der Gegenwart nachträglich zinslos vorzustrecken. Eine wirklich brillante Lösung, wie sie nur einem Menschen einfallen kann, dessen moralisches Gerüst im Vorzimmer als Kleiderständer dient.

Nebenbei: Nicht jede Zukunft ist reich und glücklich – die Zukunft am Ostkreuz zum Beispiel. Dieser bezaubernde Kulturort, auf dessen Gelände wir in den letzten Jahren unter anderem mehrere Erich Mühsam Feste und unser großes “Vorsicht Volk!”-Happening veranstalteten, soll verschwinden, um Platz für noch mehr “moderne Bürowelten” machen, von denen es bekanntlich in Berlin so wenige gibt. Wen das genauso wütend macht wie uns, der darf gerne noch die entsprechende Petition zeichnen.

Ja, es sind beunruhigende Zeiten, auch ohne Putins Atomkriegsdrohung. Andererseits ist derzeit aber auch viel in Bewegung, von dem man noch gar nicht weiß, wohin genau es sich am Ende bewegen wird. Aus der Linkspartei zum Beispiel sind zwar kürzlich einige gute Leute ausgetreten, weil sie die Putinversteherei der Sahra Wagenknechts und Sevim Dagdelens nicht mehr ertragen konnten, aber wenig später trat dann auch Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine aus. Aktuell werden deshalb Wetten abgeschlossen, welchem Flügel wohl jenes letzte Parteimitglied angehören wird, das am Ende das Licht löschen muss.

Wenigstens hat es auch am rechten Rand zuletzt allerlei ungeordnete Aus-, Rück- und Übertritte gegeben. Die komplexen Zusammenhänge erläutert Markus Liske wenigstens stichpunktartig in seinem Jungle-Artikel “Hauptsache treten” (hier zu lesen). Eigentlich wäre das schöner Stoff für ein erstes Stabreim-Epos unserer neuen “Parlamentspoetin” gewesen, nur leider ist immer noch nicht klar, ob dieses neue Amt tatsächlich ins Leben gerufen wird. Manja Präkels bei Deutschlandfunk Kultur trotzdem schon mal ausgelotet, zu was so eine “Parlamentspoetin” gut sein könnte (hier – ab Minute 05:25), und Markus Liske diskutierte wenig später in der Jungle World ausführlich mit unserem Verleger Jörg Sundermeier über die Idee an sich (hier zu lesen). Spoiler: Einig waren sie sich dabei nur in einem Punkt, nämlich wer die Stelle, falls es sie denn geben sollte, mit Sicherheit kriegt.

Neuen Lesestoff von Manja Präkels gibt es ebenfalls: In der Literaturzeitschrift “Die Horen” ist gerade ihr Text “Zeichen von den Wänden kratzen” erschienen. Und auch der Band “Pop goes Literature” (transcript-Verlag), in dem sie über ihr Leben zwischen Literatur und Musik schreibt, ist inzwischen käuflich zu erwerben. Außerdem läuft im Theater der Altmark in der schönen Hansestadt Stendal weiterhin die zweite Theateradaption von “Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß”. Und im heimischen Kreuzberg erarbeiten wir gerade in Kooperation mit dem Café MadaMe und dem Theater Hau – Hebbel am Ufer kulturelle Interventionen für den Mehringplatz. Präkels’ Ansatz dazu wird durch tatkräftige Unterstützung der HAU-Kolleginnen zudem mit einer TakeHeart-Residenz gefördert.

Diejenigen von euch, die vor allem auf ihren nächsten Roman warten, werden sich noch ein bisschen gedulden müssen. Aber … ein neues Buch von ihr wird es im Herbst trotzdem geben: die Essaysammlung “Welt im Widerhall” – natürlich im guten alten Verbrecher Verlag. Mehr dazu verraten wir euch demnächst – versprochen!

DER SINGENDE TRESEN nimmt dieweil einen zweiten Anlauf und wird im April endlich seine im Dezember abgebrochenen Aufnahmen für das neue Album “alleswasderfallist” fortsetzen. Unser grandioser Schlagzeuger Johannes Metzger indes hat die Zwangspause genutzt, um ein eigenes Projekt zu realisieren: Die Jazz-Liebhaber unter euch werden am Debüt-Album “Frames” seines Johannes Metzger Quartetts zweifellos ihre Freude haben.

Auf Johannes verzichten müsst ihr dagegen bei unserem wunderbaren, aber traditionell schlagzeuglosen Bühnenprogramm “Wo ist Zuhause, Vogelherz?” mit literarischen Stimmen zu Heimat, Flucht und Krieg. Aus aktuellem Anlass haben wir uns entschieden, dieses zeitlose Programm nun nach langer Pause wieder aufnehmen. Eine Vorpremiere wird am 02. Juni im Café MadaMe am Mehringplatz stattfinden. Anschließend präsentieren wir es dann am 12. Juni bei den Thüringer Literaturtagen auf Burg Ranis – bitte vormerken! Eine genaue Auflistung der kommenden Auftritte folgt dann im nächsten Newsletter. Zwei Termine allerdings haben wir jetzt schon für euch, nämlich diese:

Do. 07.04.- 19 Uhr

Richtige Literatur im Falschen: (Gegen-)Kanon

Markus Liske, Asal Dardan und Caca Savic diskutieren moderiert von Ingar Solty über Sinn oder Unsinn eines linken Literaturkanons.

Literaturforum im Brecht-Haus

Berlin-Mitte

Und als einen ganz besonderen Tipp, hätten wir noch – ja, tatsächlich! – die Musealisierung von Manja Präkels‘ literarischer Spurensuche:

Sa. 30.04. – 10 Uhr

Eröffnung der neuen Brandenburg.Ausstellung mit eigenem Raum für die Neunzigerjahre

Als Exponat zu sehen: Ein Koffer von Manja Präkels mit ihren Recherchen zu “Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß”

Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte

Am neuen Markt 9

Potsdam

Und das war es auch schon für heute. Lasst uns hoffen, dass alles glimpflich ausgeht. Für die Menschen in der Ukraine ebenso, wie für diejenigen, die wir eigentlich vor dem Coronavirus schützen müssten, das aber künftig nicht mehr tun.

Bleibt gesund und immer auf der Seite derer, die unsere Solidarität und Unterstützung benötigen. Schaut hin und passt auf euch auf!

Eure zuverlässig unparlamentarischen Poeten in der

Gedankenmanufaktur WORT & TON