Liebe Freunde von WORT & TON,
na, wie sieht’s aus? Nachwahlkater schon vorbei, oder schmerzt es noch ein bisschen zwischen den Ohren? Verständlich wäre das. Es ist ja wirklich auf den ersten Blick schwer zu verstehen, warum zwar eine Mehrheit der Wähler angibt, dass soziale Themen für ihre Wahlentscheidung am Wichtigsten gewesen seien, am Ende dann aber die Linkspartei unter fünf Prozent landet und die SPD (die ja immerhin gern so tut als sei das ihr Spezialgebiet) 25,7 Prozent als sensationellen Sieg feiern muss. Denkt man allerdings ein bisschen darüber nach, wird einem klar, dass wohl nur die Frage missverständlich gestellt war. Zu sagen, dass man soziale Themen besonders wichtig findet, heißt ja noch lange nicht, dass man für höhere Löhne und Renten, die Abschaffung von Hartz IV oder Chancengleichheit in der Bildung ist. Es kann auch das genaue Gegenteil bedeuten, nämlich: Keinen Steuer-Cent mehr für diese Loser und Faulpelze, alles für mich und die heilige deutsche (von mir aus auch: Öko-)Wirtschaft!
Betrachtet man es auf diese Weise, ergibt das Wahlergebnis deutlich mehr Sinn. Mit dem kleinen Schönheitsfehler nur, dass die CDU knapp hinter der SPD landete und dadurch „die Ampel“ nun wahrscheinlicher ist als „die Schwampel“ bzw. „Jamaika“. Dies aber ist, da sind sich alle Beteiligten bis auf einen einig, weniger dem Wählerwillen anzulasten als einer beeindruckenden Serie von PR-Pannen des Unionskandidaten Armin Laschet, der deshalb gerade so genüsslich von seinen Parteifreunden gerichtet wird, dass ihm perspektivisch wohl nur die Wahl zwischen Frührente und verschärfter Einzelhaft in einem EU-Abgeordnetenbüro bleiben wird. Zu den PR-Schwächen nicht nur dieses Kandidaten und ihrer Bedeutung für das Wahlergebnis hat Markus Liske unter dem Titel „Kein schöner Herbst in dieser Zeit“ in der Jungle World geschrieben. Und zu allem, was man über den Ausgang der Wahl wissen muss, gibt es im selben Blatt seinen Artikel „Mit Respekt vor Klima und Wirtschaft“ zu lesen.
Was in diesem Text allerdings nur am Rande vorkommt, ist die durchaus spannende Frage, wie es nun mit der CDU weitergehen soll. Sicher ist in diesem Zusammenhang bislang nur, dass Angela Merkel als alte/neue Bundesvorsitzende nicht mehr zur Verfügung steht. Deswegen hat Manja Präkels für die schweizer WOZ unter dem Titel „Merkel? Geschafft.“ schon mal einen Nachruf auf die scheidendende Kanzlerin verfasst. Doch irgendjemand muss ja wohl die Führung in der CDU übernehmen. Wer also soll unser künftiges schwarzes Herzblatt sein?
Klar, der erfahrene Slasherfilm-Bösewicht Fritze Merz ist natürlich gleich nach der ersten Hochrechnung wieder zähnefletschend aus seinem Sarg gesprungen. Und Norbert Röttgen möchte anscheinend abermals die Rolle des trotteligen Nerds übernehmen, der immer zuerst zerhackstückelt wird. Ein bisschen überraschend ist jedoch, dass auch Jens Spahn offenbar gewillt ist, sich berufen zu lassen, und deshalb lautstark einen „Generationswechsel“ fordert. Überraschend deswegen, weil er bislang ja hauptsächlich durch sein wiederholtes Totalversagen als Gesundheitsminister, Amigo-Gefälligkeiten und fragwürdige Immobiliendeals auf sich aufmerksam gemacht hat. Und natürlich mit seiner Verstrickung in die diversen Skandale, die gemeinhin unter dem Sammelbegriff „Maskenaffäre“ verhandelt werden.
Leider fast vergessen (und deswegen hier gern noch mal genannt) ist sein mit Abstand größter Nichtkompetenznachweis, der ebenfalls mit Masken zu tun hatte. Über die sagte der Gesundheitsminister zu Beginn der Pandemie: „Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist.“ Eine nachweislich falsche Aussage, die seinerzeit nur getätigt wurde, um zu verdecken, dass es nicht genug von diesen Masken gab und der Herr Minister nicht den geringsten Plan hatte, wie er daran etwas ändern sollte. Eine Lüge gegen jede wissenschaftliche Vernunft war das, die wahrscheinlich zahlreiche Menschenleben kostete und zudem der Quarkdenkerei Tür und Tor öffnete. Normalerweise sollte so was eigentlich das Ende einer politischen Karriere bedeuten. Es sagt viel über den Zustand der Parteien in diesem Land und die Gesellschaft im Allgemeinen aus, dass das nicht der Fall war.
Nur zum Vergleich: Als die DDR-Führung 1986 ihre Bevölkerung über das Ausmaß der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl belog, war das für viele Menschen ein endgültiger Vertrauensbruch und ein entscheidender Schritt hin zu dem, was drei Jahre später im November passierte. Heute hingegen könnte ein Jens Spahn wahrscheinlich Kanzlerschaft und Präsidentschaft gleichzeitig übernehmen, ohne damit eine Revolution auszulösen. Höchstens Andi Scheuer (CSU) wäre vielleicht sauer, dass nicht eines der Ämter an ihn geht, obwohl er doch (und da geben wir ihm hundertprozentig recht!) mindestens ebenso qualifiziert dafür ist wie Spahn.
Apropos Tschernobyl: Ist euch eigentlich auch aufgefallen, dass das Pfifferlingbusiness in diesem Jahr bei Rewe und Edeka hauptsächlich von Weißrussland betrieben wurde? Und habt ihr euch auch manchmal beim Blick auf das Etikett gefragt: „Weißrussland – war da nicht kürzlich irgendwas?“ Ja, da war was und ist auch noch. Ein Diktator nämlich, der Wahlen fälscht, Jagd auf Oppositionelle macht, internationale Flüge kapern lässt und von der EU inzwischen nicht mal mehr als Staatsoberhaupt anerkannt wird. Seit einiger Zeit kommen nun auch noch Flüchtlinge über die weißrussische Grenze. In der Erstaufnahmeeinrichtung von Eisenhüttenstadt müssen schon Zelte aufgebaut werden, und Polen errichtet einen Grenzzaun, bei dessen Anblick Donald Trump wahrscheinlich einen feuchten Schlüppi bekäme. Die EU ihrerseits scheint das mit dem Zaun ganz okay zu finden. Sie wirft dem weißrussischen Diktator nämlich die gezielte Schleusung von Migranten vor – als Reaktion auf ihre Wirtschaftssanktionen gegen das Land. „Wow“, denkt sich da der Pilzfreund, „es gibt Sanktionen?“
Dass dieses Thema im hiesigen Wahlkampf keine Rolle spielte, muss man allerdings verstehen. Außenpolitik kam schließlich überhaupt nicht vor. Kein Afghanistan-Debakel, keine Positionierung zu China, kein Nachdenken über den Umgang mit protofaschistischen Entwicklungen in EU-Ländern wie Ungarn oder Polen – nicht einmal die neue Putin-Schwesig-Pipeline wurde ernsthaft thematisiert. Außenpolitik ist hierzulande eben etwas, das man notgedrungen irgendwie macht, wenn sich die blöde Weltlage mal wieder in die Schlagzeilen drängelt. Der Deutsche eben selbst genug. Wenigstens so lange die Welt nicht bereit ist, an seinem Wesen zu genesen.
Wir hingegen brauchen als Künstler hin und wieder einfach den Direktkontakt zu unserem Publikum. Deswegen gibt es bis zum Jahresende noch ein paar Veranstaltungen zu melden, obwohl wir uns eigentlich schon wieder voll in der Produktionsphase befinden. Nur DER SINGENDE TRESEN hat bereits auftrittsfrei und konzentriert sich ganz auf die Studioaufnahmen für die neue CD. Aber Manja Präkels und Markus Liske werden noch ein paar mal lesen. Hier die nächsten …
TERMINE
Fr. 08. Oktober – 19:00
Lesung mit Musik: „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“
mit: Manja Präkels, Thorsten Müller, Benjamin Hiesinger
Begegnungsstätte in der Stadtkirche St. Maximi
Merseburg
Do. 14. Oktober – 09:00
Manja Präkels liest: „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“
Zentralbibliothek im Kulturpalast
Dresden
Do. 14. Oktober – 11:30
Manja Präkels liest: „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“
Dresden
Do. 04. November – 20:00
Premiere von Ödön v. Horváths „Sladek oder Die schwarze Armee“
mit neuen Texten von Manja Präkels
Jena
Fr. 05. November – N.N.
„Was bedeutet Freiheit heute?“ – Podiumsdiskussion mit Manja Präkels und Ingo Schulze
Forschungsbibliothek der Uni Erfurt
Gotha
Fr. 12. November – 19:00
Markus Liske liest „Sechs Tage im April – Erich Mühsams Räterepublik“
Berne (Wesermarsch)
Do. 25. November – 19:30
Manja Präkels liest: „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“
Dortmund
So viel für den Moment. Nun auf in den nächsten Corona-Herbst! Was auch immer uns demnächst politisch blüht, Hauptsache, wir bleiben solidarisch – auch mit den tapferen Weißrussen, den Inhaftierten und Geflüchteten. Was allerdings herbstliche Gaumenfreuden angeht, gilt: Auch andere osteuropäische Länder haben schöne Pilze – Litauen zum Beispiel oder Brandenburg.
Bleibt gesund und uns gewogen!
Eure unerschütterlichen Sozialromantiker in der